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Übersetzung: Lumina – Lektion 23: Antigone

Lektionstext

Antigone: O soror cara, Ismene. Nullam novi fortunam malam, quam fatum nobis
gentique nostrae non dedit.
Nam fato coactus Oedipus, pater infelix noster, Thebas venit atque
Iocastem reginam, cuius maritus caesus erat, matrem suam – mox
matrem nostram –, in matrimonium duxit nescius.
Postquam parentes nostri id dedecus cognoverunt, Iocaste sibi mortem
conscivit1, Oedipus sua manu2 caecatus3 usque ad vitae finem
exemplum praebebat fati crudelis.

Ismene: Cur dolorem tam acrem nunc renovas, Antigone?

Antigone: … ut memoria teneas ingentem esse iram deorum.
Nam gravem solvunt poenam4 homines,
qui fas ruperunt. Nonne etiam fratres nostri,
Eteocles et Polynices, deos laeserunt? Discordia commoti bellum civile
paraverunt et, dum alius alium gladio necat, poenas solverunt4 pro re
nefaria.

Ismene: Scio ea omnia, Antigone. Num tu moveris novis curis tam gravibus, ut
iterum narres de fratribus?

Antigone: Immo vero5! Nonne etiam tu audivisti Creontem, nunc regem
Thebarum, legem dedisse nefariam
et periculosam?

Ismene: Nondum audivi pericula ea, quae nobis imminent. Dic, soror, ut sciam!

Antigone: Edixit rex:
„Sepulcri honore alter fratrum afficiatur Eteocles,
quod defendit urbem. Sed alterum, Polynicem,
quod Thebis fuit infestus,
Thebani relinquant insepultum6!
Corpus istius hominis scelesti praedae sit
saevis bestiis ! Sic puniatur hostis!
Cives autem iram meam timeant!
Is, qui legem ruperit7 meam, necetur!“

Ismene: O fratres infelices! O tantam regis crudelitatem!
Quid faciamus, Antigone?

Antigone: Diu ne cogitemus, sed faciamus id, quod dei
postulant, Ismene! Et deis parere et fratribus adesse
nos sorores debemus: Debemus fratrem sepelire,
etiam si vis Creontis magna est. — An dubitas?

Ismene: Nescio … Sed scito8 autem nos esse feminas, quarum
vires infirmae sunt. Potentiae regis resistere et simul
vitam servare incolumem non possumus.

Antigone: Deis si pareo, auxilium ferent mihi.
Quod nobis fas imperat et mos maiorum,
id nunc officium praestabo.
Si tu ignava es, ego sola faciam id, quod deis placet.

Ismene: Quam timeo de salute tua, soror! Utinam noctu facias,
quod in animo habes!! Ita fortasse vitam servabis …

Antigone: Sub sole recta mens a deis cognoscitur.
Nunc frater sepeliatur mea manu2!

1 mortem sibi conscivit: sie nahmen sich das Leben
2 sua/mea manu: von seiner/meiner Hand
3 caecare: blenden
4 poenam/poenas solvere: Strafe zahlen, büßen
5 immo vero: aber ja!
6 insepultus: unbestattet
7 ruperit: hier: er bricht
8 scito: wisse; sei dir bewusst

Übersetzung

Antigone: Oh, meine teure Schwester, Ismene. Ich kenne kein schlechteres Schicksal, als das göttliche Recht uns und unserem Stamm nicht gibt. Denn vom Schicksal gezwungen, kam Oedipus, unser unglücklicher Vater, nach Theben und heiratete unwissend Iocaste die Königin, seine Mutter – bald unsere Mutter. Nachdem unsere Eltern diese Schande bemerkt hatten, nahm sich Iocaste das Leben und Oedipus bot, nachdem er sich durch seine eigene Hand geblendet hatte, bis zu seinem Lebensende ein Beispiel für das grausame Schicksal.

Ismene: Warum erneuerst du den so heftigen Schmerz nun, Antigone?

Antigone: …damit du die Erinnerung festhältst, dass der Zorn der Götter ungeheuerlich ist. Denn Menschen, die das göttliche Recht brechen, büßen schwer. Haben denn nicht auch unsere Brüder Eteodes und Polynices die Götter verletzt? Durch Zwietracht bewegt, wurde ein Bürgerkrieg bereitet und während einer einen anderen mit einem Schwert tötet, wurde für eine frevelhafte Sache gebüßt.

Ismene: Ich weiß das alles, Antigone. Bist du etwa durch etwas neues so stark bewegt, dass du immer von den Brüdern erzählst?

Antigone: Aber ja! Hast du etwa nicht auch von Creon gehört, der nun Theben regiert, dass er ein frevelhaftes und gefährliches Gesetz erlassen hat?

Ismene: Ich habe noch nicht von den Gefahren gehört, die uns drohen. Sag es, Schwester, damit ich es weiß.

Antigone: Der König hat verkündet: „Der eine Bruder, Eteocles, soll mit einem Grab versehen werden, weil er die Stadt verteidigte. Aber der andere, Polynices, soll von den Thebanern unbestattet zurückgelassen werden, weil er Theben feindlich gesinnt war! Der Körper dieses verbrecherischen Menschen soll als Beute für die wilden Tiere dienen! So soll der Feind bestraft werden! Die Bürger jedoch sollen meinen Zorn fürchten! Der, der mein Gesetz bricht, soll getötet werden!“

Ismene: Oh, ihr unglücklichen Brüder! Oh, die so große Grausamkeit des Königs! Was sollen wir machen, Antigone?

Antigone: Lass uns nicht lange nachdenken, aber wir sollen das machen, was die Götter fordern, Ismene! Wir Schwestern müssen sowohl den Göttern gehorchen, als auch den Brüdern helfen: Wir müssen den Bruder begraben, auch wenn die Kraft Creons groß ist. – Oder zweifelst du etwa?

Ismene: Ich weiß nicht… Seid dir jedoch bewusst, dass wir Frauen sind, deren Kräfte schwach sind. Wir können nicht der Macht des Königs Widerstand leisten und zugleich unser Leben unversehrt retten.

Antigone: Wenn ich den Göttern gehorche, werden sie mir Hilfe bringen. Weil es uns das göttliche Rechts und der Brauch der Vorfahren befiehlt, werde ich nun diese Pflicht leisten. Wenn du träge bist, werde ich dieses, das den Göttern gefällt, alleine machen.

Ismene: Wie sehr fürchte ich um dein Heil, Schwester! Wenn doch, solltest du es bei Nacht machen, was du im Sinn hast!! So wirst du vielleicht dein Leben bewahren…

Antigone: Die richtige Gesinnung wird unter der Sonne von den Göttern erkannt. Nun wird der Bruder von meiner Hand begraben werden!