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Übersetzung: Lumina – Lektion 29 (Text 2): Die Verteidigungsrede des Socrates

Lektionstext

Quid istam infamiam mihi intulit?

Audite, iudices! Nulla alia causa infamiam illam cepi quam sapientia quadam. – Sed quae
est sapientia, quam oraculum Apollinis mihi attribuit?

Eo oraculo edito mecum cogitabam: „Equidem non ignoro me sapientem non esse. Quid
ergo deus iis verbis declaravit?“

Denique hoc modo de oraculo quaerere1 coepi: Virum nobilem, qui omnibus et sibi
praecipue videbatur2 sapiens esse, adii, ut ostenderem: Hic vir sapientior3 est quam ego.
Quem et inspiciens et interrogans et inquirens – eum non nomino; unus ex iis erat, qui in
re publica versabantur4, – intellexi istum virum videri5 quidem sapientem, sed non esse.
Quod ei multis audientibus demonstravi. Itaque non solum ei, sed etiam multis aliis
civibus odio fui.

Abiens mecum cogitabam: Iste se aliquid scire putabat – nihil sciens. Ego autem – nihil
sciens – me nihil scire puto. Eodem modo ex multis quaesivi, num quid scirent. Postremo
fabros interrogabam. Nam mihi persuasum erat eos magna cum sapientia multa et pulchra
perficere posse, quae ego perficere non possum. Sed illi opera admirabilia perficientes
etiam ceteris in rebus se sapientissimos esse putabant, quod non erant.

Quod cum et illis demonstravissem, mihi tantae inimicitiae exstiterunt, ut nunc in ius
ductus sim.

1 quaerere de: Untersuchungen anstellen über
2 videbatur: er schien
3 sapientior: weiser
4 qui in r. p. versbantur: die zu den Politikern gehörten
5 videri (Inf.): scheinen

Übersetzung

Was hat mir diesen schlechten Ruf angetan?

Höret, Richter! Ich habe jene Schande empfangen aus keinem anderen Grund
als einer gewissen Weisheit. – Aber was ist diese Weisheit, die mir das Oracel
des Appols zugewiesen hat?

Als das Oracel herausgegeben wurde, dachte ich bei mir:
Ich jedenfalls weiß genau, dass ich nicht weise bin.
Was also hat der Gott mit diesen Worten erklärt?
Schließlich fing ich an auf diese Art und Weise Untersuchungen über das
Oracel anzustellen:
Ich suchte einen adligen Mann, der allen und vor allem sich selbst weise zu sein
erschien, um zu zeigen:
Dieser Mann ist weiser als ich!

Indem ich diesen betrachtete, fragte und untersuchte – diesen nenne ich nicht; er war
einer von diesen, die zu den Politikern gehören – erkannte ich, dass dieser Mann
jedenfalls weise schien, er es aber nicht war.
Dieses zeigte ich ihm, während mir viele zuhörten.
Daher war nicht nur er, sondern auch viele andere Bürger von Hass erfüllt. Als ich
fortging, dachte ich bei mir: Dieser da glaubt, dass er irgendetwas weiß, obwohl er
nichts weiß.

Ich jedoch – weil ich nichts weiß – glaube, dass ich nichts weiß.
Auf diese Art und Weise suchte ich nach vielen, ob sie etwas wussten.
Schließlich fragte ich die Handwerker. Denn ich bin überzeugt, dass diese mit großer
Weisheit Vieles und Schönes herstellen könne, was ich nicht herstellen kann. Aber
jene glaubten, dass sie, weil sie die bewundernswerten Werke herstellten, auch in den
übrigen Sachen die Weisesten seien, was sie nicht waren.